Schulbibliothek in Mexiko Stadt

Frontalansicht des BibliotheksgebäudesWo die „wilden Hühner“ auf Mario Vargas Llosa treffen…

Die Schulbibliothek des Colegio Alemán „Alexander von Humboldt“ La Herradura in Mexiko-Stadt

„Wo finde ich denn noch weitere Bände von den ‚Wilden Hühnern’?“, will Eva wissen. Sie kommt alle zwei Wochen mit ihrer Klasse zur Schulbibliothek. Auf Initiative ihrer Lehrerin Beatriz leihen sich die Drittklässler regelmäßig Bücher aus. „Kinder müssen an Literatur herangeführt werden”, erklärt die Lehrerin, die zwar in Göttingen aufgewachsen ist, aber seit ihrem Studium in Mexiko lebt. Ihre Klasse ist eine sogenannte DaM-Klasse. „DaM“ steht für Deutsch als Muttersprache.

Diese Schüler/innen sind aber die Minderheit an der Deutschen Schule La Herradura im Westen von Mexiko-Stadt. Sie ist neben Lomas Verdes im Norden und Xochimilco im Süden der dritte Standort der Deutschen Schule in einer der größten Städte der Welt. Der Campus wurde erst 2008 eingeweiht. Neben dem Hauptgebäude befindet sich in einer parkähnlichen Anlage die Schulbibliothek. Hier können die Schüler/innen aus mehr als 9000 Titeln auswählen, die sich nicht nur auf die deutsche Sprache beschränken: Schließlich unterrichten auch mexikanische Lehrkräfte an der Schule und je nach Jahrgangsstufe gestaffelt, findet der Fachunterricht auf Spanisch statt. Ein weiterer wesentlicher Unterschied zum deutschen Schulsystem besteht darin, dass hier an einem Standort sämtliche Jahrgangsstufen vom Kindergarten bis zum Abitur unterrichtet werden. Entsprechend breitgefächert ist auch das Bibliotheksangebot.

Nur zwei Prozent der Schüler/innen kommen aus Deutschland oder Österreich. Das war einmal anders: Denn die Deutsche Schule besteht seit mehr als einhundert Jahren in der mexikanischen Hauptstadt und wurde von deutschen Einwanderern für ihre Kinder gegründet. Mittlerweile hat sich die Schülerschaft geändert: Zwar gibt es noch einige Schüler/innen, deren Eltern bzw. Großeltern aus Deutschland oder Österreich kommen, die Mehrheit der 900 Kinder und Jugendlichen hat keinen familiären Bezug mehr zu Deutschland oder Österreich.

Bei Eva ist das anders: Ihr Vater ist z.Zt. beruflich in Mexiko beschäftigt; deswegen ist sie hier und lesebegeistert wie auch ihre Freundin Bentje. Andere Schüler/innen müssen gezielt auf das Angebot der Bibliothek aufmerksam gemacht werden. Für sie werden u.a. Bibliotheksralleys organisiert, damit sie sich mit dem Bibliotheksangebot zurechtfinden.

Das Bibliotheksgebäude hat zwei Etagen: Auf der unteren Etage befinden sich zwanzig Computerarbeitsplätze, so dass die Bibliothek auch gerne für den Fachunterricht oder die Arbeitsgemeinschaften genutzt wird. Des Weiteren arbeiten Lehrer- und Schülerschaft hier mit Wörterbüchern, Klassensätzen sowie Literatur auf Deutsch und Spanisch für Schüler/innen bis 13 Jahre. Zur leichteren Orientierung ist die Literatur nach Farben (grün = 6-8 Jahre; gelb = 8-10 Jahre; rot = 10 Jahre und älter) und Themen (Abenteuer; Freundschaft, Krimi etc.) sortiert. In einem Zeitschriftenständer haben die Schüler auch Zugang zu Publikationen aus Deutschland wie z.B. „DIE ZEIT” oder „Dein SPIEGEL”. In der Mediathek gibt es 35 deutschsprachige Filme für ältere Schüler/innen (u.a. „Das Leben der anderen”, „Lola rennt” und „Sophie Scholl”) sowie 35 Filme für die jüngeren Jahrgangsstufen (u.a. „Pippi Langstrumpf”, „Heidi” und „Das Dschungelbuch”). Gerade für die „DaF“ (Deutsch als Fremdsprache)-Schüler/innen hat sich als hilfreich erwiesen, wenn die Filme untertitelt sind. Die obere Etage beherbergt neben einem Arbeitsbereich Enzyklopädien, naturwissenschaftliche Bücher und Bücher aus den Bereichen Geschichte, Politik und Gesellschaft. Ebenso werden hier Schüler/innen ab 13 Jahren bei der Suche nach Literatur in Deutsch, Spanisch und Englisch fündig.

Eva ist leider etwas enttäuscht. Von den „Wilden Hühnern” gibt es leider nur zwei Bände in der Bibliothek und beide kennt sie schon. Dafür entdeckt sie „Hanni und Nanni”. Von dieser Mädchenbuch-Reihe von Enid Blyton gibt es wesentlich mehr als zwei Bücher im Bibliotheksbestand.

Im Frühjahr findet eine Buchmesse statt, an der fast alle wichtigen mexikanischen Schul- und Kinderbuchverlage teilnehmen. Aus dessen Sortimenten werden auch die Neubestellungen geordert. Zweimal im Jahr gibt es auch Bestellungen nach Deutschland, um den Bestand zu aktualisieren. Es passiert aber auch häufig, dass Lehrkräfte, die wieder nach Deutschland gehen, der Bibliothek ihren Bücherbestand überlassen. Ebenso erhält die Bibliothek Buchspenden von Familien. Dann ist es die Aufgabe der Bibliothekarinnen, zu entscheiden, was in den Bestand aufgenommen wird und was nicht.

Zur Zeit arbeiten zwei studierte Germanistinnen in der Bibliothek. Girla Castillo hat an der Universidad Nacional Autónoma de México (UNAM) Germanistik studiert, Marion Koerdt an der Universität zu Köln. So stehen den Schüler/innen zwei Muttersprachlerinnen in Spanisch und Deutsch nicht nur mit Rat zur Seite. Häufig sind sie auch in organisatorischen Dingen gefragt, koordinieren mit dem Kulturausschuss der Schule die Buchmesse, übernehmen Vertretungen für Stunden ausgefallener Lehrkräfte, unterrichten Deutsch als Fremdsprache, machen Buchpräsentationen und stellen auf Wunsch der Lehrer/innen Bücherpakete oder auch Bibliotheksralleys zusammen. Unterstützt werden die beiden halbtags von Silvia Godoy. Sie kümmert sich um alles Praktische in der Bibliothek, denn leider müssen manchmal auch Bücher repariert werden. Regelmäßig präsentiert die Bibliothek einen Schwerpunkt: So war das im letzten Dezember der Literaturnobelpreis an Mario Vargas Llosa und damit verbunden die Bedeutung des Literaturnobelpreises.

Für Vargas Llosa interessiert sich die zehnjährige Eva noch nicht, dafür aber für Michael Ende. Dessen Roman „Die unendliche Geschichte” hat sie nun im Regal entdeckt und da ihre Lehrerin angeregt hat, Bücher über Drachen zu suchen, greift sie zu. „Das ist aber dick!”, stöhnt sie. „Aber das Tolle an dicken Büchern ist doch, wenn die Geschichte gut ist, dass sie nicht so schnell vorbei sind”, wendet die Bibliothekarin ein. Ein Argument, das Eva überzeugt, und sie leiht sich mit ihrem Lesepass das Buch sowie einen „Hanni und Nanni”- Band aus.

Als Klassifikationssystem benutzt die Bibliothek das weltweit gültige Dewey-System, das auch in den anderen beiden Schulbibliotheken der Deutschen Schule in Mexiko-Stadt genutzt wird. Die Schüler/innen haben nicht nur die Möglichkeit, die Bibliothek in den Pausen zu nutzen. So können sie auch nach Unterrichtsschluss noch in der Bibliothek verweilen und mit einem Lesepass (den sie einmal für umgerechnet 75 Cent erwerben müssen) Bücher ausleihen. Ein Angebot, auf das die Bibliothekarinnen immer wieder verweisen, denn Bücherwürmer sind die wenigsten Schüler von Haus aus. Eva und Bentje sind da leider immer noch eine Ausnahme.

Marion Koerdt
Deutsche Schule in Mexiko Stadt

 
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